Das begrenzte Papsttum. Spielräume päpstlichen Handelns. Legaten – delegierte Richter – Grenzen

Das begrenzte Papsttum. Spielräume päpstlichen Handelns. Legaten – delegierte Richter – Grenzen

Organisatoren
Akademie der Wissenschaften zu Göttingen, Projekt „Papsturkunden des frühen und hohen Mittelalters“; Centro de Estudos de História Religiosa, Universidade Católica Portuguesa Lissabon; Universidade de Santiago de Compostela, Projekt „El Pontificado Romano: relaciones con el Noroeste Peninsular y bases documentales para su estudio hasta el año 1198“
Ort
Lissabon
Land
Portugal
Vom - Bis
09.07.2010 - 10.07.2010
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Von
Frank Engel, Akademie der Wissenschaften zu Göttingen, Papsturkunden des frühen und hohen Mittelalters

Papsttum und Begrenzung – wie geht das zusammen? Der Anspruch der römischen Bischöfe auf die plenitudo potestatis steht geradezu in diametralem Gegensatz zum Begriff des Handlungsspielraums. Dass die Amtsausübung der Päpste sich in solchen Spielräumen bewegte, zuweilen an die faktischen Grenzen ihrer Möglichkeiten stieß, liegt aber auf der Hand. Zugleich war das Papsttum seit der „papstgeschichtlichen Wende“ (Rudolf Schieffer) des 11. Jahrhunderts als legitimierende Instanz mit konkreten Grenzbestätigungen und -veränderungen befasst. Das gilt insbesondere für die Iberische Halbinsel, deren kirchliche Strukturen einschließlich der Diözesangrenzen im Zuge der Reconquista tiefgreifend umgestaltet wurden. Ähnlich nachhaltig wandelten sich von den Reformpäpsten des 11. bis in das 13. Jahrhundert die Kommunikations- und Einflussmöglichkeiten des apostolischen Stuhls.

Diesem Prozess widmete sich die internationale Tagung, die vom 9. bis 10. Juli 2010 in der Universidade Católica Portuguesa in Lissabon stattfand. Ausgerichtet wurde sie von der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen (Projekt „Papsturkunden des frühen und hohen Mittelalters“), vom Centro de Estudos de História Religiosa der gastgebenden Universität sowie von der Universidade de Santiago de Compostela (Projekt „El Pontificado Romano: relaciones con el Noroeste Peninsular y bases documentales para su estudio hasta el año 1198“).

Nach einem Grußwort seitens der gastgebenden Universität und der Eröffnung der Konferenz durch die Leiter der beiden genannten Projekte, Klaus Herbers und Fernando López Alsina, befasste sich die erste Sektion mit allgemeinen Fragen.

RUDOLF SCHIEFFER (München) erörterte in seinem Einführungsvortrag „Die Reichweite päpstlicher Entscheidungen nach der papstgeschichtlichen Wende“. Wieweit die Autorität des Papsttums nach dem folgenreichen Einschreiten Heinrichs III. reichte, leitete der Referent aus verschiedenen Indizien ab. Leo IX. suchte in eigener Person Frankreich, Deutschland und Ungarn auf, Viktor II. immerhin Deutschland, während Urban II. und seine Nachfolger Italien allenfalls verließen, um nach Frankreich zu reisen. Wesentlich weiträumiger gestaltete sich die Reisetätigkeit der päpstlichen Legaten. Seit Gregor VII. schrieben die Päpste an alle christlichen Könige und förderten die Errichtung neuer Königsherrschaften. Höchst bedeutsam für die Entwicklung waren die Papstkonzilien. In der anschließenden Diskussion führte Werner Maleczek aus, dass die Reichweite des päpstlichen Handelns auch an dessen Niederschlag in der Historiographie deutlich werde: Bis zur Mitte des 11. Jahrhunderts fehlt in vielen Chroniken jede Nennung Roms bzw. des Papstes. Im 12. Jahrhundert wird demgegenüber in den historiographischen Quellen zumindest der jeweilige Pontifikatsbeginn regelmäßig erwähnt. Recht kontrovers wurde die päpstliche Lehenspolitik und insbesondere ihr eher aktiver oder reaktiver Charakter diskutiert.

Nach dem Panorama des Eröffnungsvortrages befasste sich der Beitrag von THOMAS DESWARTE (Poitiers) mit den Grenzen päpstlichen Einflusses anhand eines Fallbeispiels. Unter verschiedenen Gesichtspunkten, so führte der Referent aus, ist die Liturgie bezeichnend für den römischen Einfluss vor und nach Gregor VII. Dies bezeuge eines der wenigen erhaltenen mozarabischen Sakramentare, der Liber ordinum (RAH 56) der Real Academia de la Historia. Seine kodikologische Analyse bringe eine komplexe Entstehungsgeschichte ans Licht, die im 10. Jahrhundert beginnt und sich über die Bekämpfung des mozarabischen Ritus durch Gregor VII. hinaus fortsetzt. Nach den Darlegungen Deswartes war die Handschrift Gegenstand von Manipulationen. Die Ablehnung der päpstlichen Primatsansprüche führte demnach ebenso wie der Wunsch, das Überleben des alten Ritus zu sichern, dazu, dass man dem Buch durch die Aufnahme einschlägiger liturgischer Texte ein „römisches“ Aussehen gab.

Den dritten Vortrag der ersten Sektion hielt WERNER MALECZEK (Wien) über „Das Kardinalat von der Mitte des 12. bis zur Mitte des 13. Jahrhunderts“. Er untersuchte das Kardinalskollegium (nur die Kurienkardinäle, nicht die auswärtigen) vom Ausbruch des Alexandrinischen Schismas 1159 bis zum Tod Innozenz’ IV. 1254. Besonders berücksichtigte er die allerdings wenigen, insgesamt nur drei iberischen Kurienkardinäle des Zeitraums. Das Kollegium verkleinerte sich in dieser Zeit kontinuierlich, von circa 30 Kardinälen bis zu circa 15, vermutlich deshalb, weil diese Gruppe mächtiger Amtsträger – und potentieller Nachfolger auf dem Stuhle Petri – für den jeweiligen Papst umso einfacher zu kontrollieren war, je kleiner sie war. Die Zahl der Kurienkardinäle dieses Zeitraums beläuft sich auf ungefähr 170; über Herkunft, Bildungshintergrund, etwaige Ordenszugehörigkeit und ähnliche Merkmale sind in vielen Fällen, etwa drei Vierteln, Aussagen möglich. Die Auswahl der Personen lag allein beim Papst. Die Kardinäle nahmen auf vielfältige Weise an den päpstlichen Regierungsgeschäften teil, zum Beispiel als Auditoren oder Kanzler. Der Vortrag befasste sich weiterhin mit den Mitteln öffentlicher Kommunikation, die den Kardinälen zu Gebote standen – ihren Unterschriften auf päpstlichen Privilegien, ihren Siegeln und ihrer Rolle in einem immer komplizierter werdenden Zeremoniell.

Die zweite Sektion der Tagung („Grenzen“) eröffnete FERNANDO LÓPEZ ALSINA (Santiago de Compostela) mit einem Vortrag über das Parrochiale Suevum und seine Präsenz in Papsturkunden. Die sogenannte Teodemiri Divisio gibt vor, die territoriale Neuorganisation der Kirche im nordwestiberischen Königreich der Sueben zwischen dem Ersten (561) und Zweiten Konzil von Braga (572) widerzuspiegeln. Der Referent stellte die Textüberlieferung, in der unter anderem 140 Pfarreien aufgeführt und Bistümern zugeordnet werden, eingehend vor. Die Divisio spielte eine wesentliche Rolle bei der Umgestaltung der Kirche des Königreiches León im 11. Jahrhundert. Viele Bischöfe der westlichen Iberischen Halbinsel nutzten seit der Zeit Urbans II. die Divisio, um sich vom Papst ihre Rechte bestätigen zu lassen. In der anschließenden Diskussion betonte Klaus Herbers die Bedeutung von Konzilien als Kommunikationsorten. Sie seien, gerade im Zusammenhang mit Grenzstreitigkeiten, auch wichtig für die Verbreitung interpolierter Texte gewesen. Thomas Deswarte unterstrich die Territorialisierung der Diözesen als Neuheit des 11. Jahrhunderts.

Sodann referierte MARIA CRISTINA CUNHA (Porto) unter dem Titel „Coimbra e Porto“ über Kirchenorganisation und „nationale Identität“ im Zusammenhang der Streitigkeiten um Bistumsgrenzen. Wie sie betonte, entstand im 12. Jahrhundert eine kirchliche Raumgliederung, die der politischen Interessenlage im sich damals formierenden und konsolidierenden Königreich Portugal entsprach. Sie konzentrierte sich in ihrem Vortrag auf Grenzstreitigkeiten der Bischöfe von Porto mit ihren Nachbarn von 1114 bis zum Ende des 12. Jahrhunderts. Eine erste Phase, in der Konflikte vor allem zwischen Porto und Coimbra bestanden, wurde von dem größeren Zusammenhang der Auseinandersetzungen zwischen den Metropoliten von Braga, Toledo und Compostela bestimmt. Die Situation veränderte sich später wesentlich durch den Aufstieg der Grafschaft Portugal zum Königreich; nun sei nicht zuletzt die geographische Koinzidenz zwischen Königreich und Kirchenstrukturen angestrebt worden.

URSULA VONES-LIEBENSTEIN (Köln) widmete sich in ihrem Beitrag den Grenzveränderungen der Kirchenprovinz Narbonne von der Spätantike bis ins 12. Jahrhundert. Ein wesentlicher Einschnitt war die muslimische Eroberung des Westgotenreichs. Bei der Wiederherstellung kirchlicher Strukturen in der Folgezeit wurden die vier katalanischen Diözesen, die früher zur Kirchenprovinz Tarragona gehört hatten, aus rein politischen Gründen Narbonne zugeschlagen. Dreihundert Jahre später erfolgte die Abschichtung dieser Bistümer von Narbonne und die Wiedererrichtung der Tarraconensis aus ganz ähnlichen Motiven, vor allem zur Stärkung der territorialen Einheit. In der Region von Narbonne, die gegen Ende des 11. Jahrhunderts in politischer Hinsicht außerordentlich stark fragmentiert war, bemühten sich einige Lehnsherren, etwa die Grafen von Barcelona und Melgueil, um päpstliche Unterstützung für ihre Herrschaftssicherung. Dieses Instrument des Machterhalts wurde freilich durch die Kirchenreformer, die den Einfluss der Laien und insbesondere des Adels auf die kirchliche Stellenbesetzung zurückdrängten, unbrauchbar, zumal da der französische König immer mehr in die Rolle des Papstes als Schutzherr eintrat.

JOSÉ LUIS MARTÍN MARTÍN (Salamanca) untersuchte in seinem Vortrag Grenzprobleme zwischen den benachbarten Diözesen Kastiliens und Portugals während des Mittelalters. Nach seiner Auffassung traf die päpstliche Kurie ihre Entscheidungen in Bezug auf die Reiche Kastilien und Portugal ohne Rücksicht auf politische Grenzen. Die Könige wiederum nahmen die Bischöfe ihrer Reiche für ihre Zwecke in Anspruch, ungeachtet der Unterordnung unter eine auswärtige Metropole. Zweifellos verstärkte die verworrene kirchengeographische Situation die päpstliche Präsenz auf der Iberischen Halbinsel. Andererseits kann man keineswegs von der faktischen Gültigkeit des Roma locuta, causa finita ausgehen, denn trotz häufiger Einschaltung der Kurie ignorierten kirchliche Streitparteien die päpstlichen Mandate, wenn sie nicht in ihrem Sinne ausfielen. Die Päpste griffen in dieser Region vornehmlich ein, um die hierarchische Ordnung zu stützen und die Jurisdiktionsverhältnisse zu klären. Erst der Krieg zwischen Johann I. von Kastilien und Johann I. von Portugal führte zusammen mit dem Großen Schisma schließlich dazu, die kirchlichen mit den politischen Grenzen zur Deckung zu bringen.

Zu Beginn der dritten Sektion, die der Thematik der Legationen gewidmet war, stellte GERHARD SAILLER (Moskau) zunächst das Projekt „Papsturkunden in Portugal von 1198 bis 1304. Ein Beitrag zum Censimento“ vor. Das in den 1950er-Jahren von Franco Bartoloni initiierte Vorhaben des Censimento verfolgt das Ziel, alle überlieferten päpstlichen Originalurkunden von 1198 bis 1417 zu erfassen.

CLAUDIA ZEY (Zürich) befasste sich in ihrem Beitrag mit den Möglichkeiten und Beschränkungen, die für Legaten im 12. und 13. Jahrhundert galten. Die Legationen waren ein grundsätzlich sehr wirksames Mittel, um die päpstliche Autorität und die der römischen Kirche in ganz Europa zu bekräftigen. Zahlreiche Kardinallegaten als wichtigste Repräsentanten der Kurie brachten in allen Gebieten der westlichen Christenheit und im Heiligen Land den päpstlichen Jurisdiktionsprimat zur Geltung. An seine Grenzen stieß dieses Herrschaftsmodell nicht nur aus (kirchen-)politischen Gründen, sondern auch aus strukturellen. Sehr lange Legationen von mehreren Jahren Dauer habe die Kurie gescheut, weil wichtige Berater dann fehlten. Auch die Vertrautheit mit den Verhältnissen im Zielland und mit dessen Sprache stellte ein praktisches Problem dar, überdies die zum Teil nur oberflächliche Christianisierung in der Peripherie der damaligen Christenheit. Die Referentin verglich, um diese Sachverhalte zu verdeutlichen, Legationen auf der Iberischen Halbinsel, in Skandinavien und im Heiligen Land miteinander.

LUDWIG VONES’ (Köln) Vortrag untersuchte die Verbindung von Legation und konziliarer Tätigkeit am Beispiel des Legaten Richard von Marseille. Der Abkömmling der vizegräflichen Familie von Millau, Kardinalpriester und Abt von Saint-Victor de Marseille, hielt vier Legatensynoden im Königreich Kastilien-León und in Katalonien ab, auf denen wichtige Maßnahmen zur Wiederherstellung der iberischen Kirche entschieden wurden, unter anderem die Einführung des römischen Ritus und die Reform des Klosters Sahagún. Dabei gelang es Richard nicht nur, die auftretenden Schwierigkeiten zu überwinden, sondern immer auch, seinen eigenen Vorteil und die Interessen seiner expandierenden Benediktinerkongregation wahrzunehmen. In der anschließenden Diskussion wies Werner Maleczek darauf hin, dass es im 11. und 12. Jahrhundert wenige geographische bzw. landeskundliche Informationsmöglichkeiten gab, und betonte, es sei nach den Raumvorstellungen an der Kurie zu fragen. Hierzu merkte Agostino Paravicini Bagliani an, es habe dort zumindest in späterer Zeit Spezialisten für bestimmte Regionen gegeben. Claudia Zey ergänzte, noch unter Gregor VII. habe über Skandinavien, über die dortigen Entfernungen und ähnliche Aspekte große Unkenntnis bestanden. Geistliche, die an die Kurie reisten, brachten jedoch immer wieder zusätzliche Informationen mit. So wurde schließlich auch eine Legation dorthin möglich. Wie Zey weiterhin ausführte, gab es im 12. Jahrhundert unter den Legaten Generalisten, die – offenbar durch die Kurie gut vorbereitet – in verschiedenen, voneinander weit entfernten Regionen zum Einsatz kamen.

Von den restlichen beiden Vorträgen der Sektion befasste sich derjenige von INGO FLEISCH (Bamberg) mit einem weiteren exemplarischen, ebenfalls sehr aufschlussreichen Fall: den Legationen des Kardinals Hyazinth, des späteren Papstes Coelestin III., auf der Iberischen Halbinsel. Hyazinth war 1154-1155 und 1171-1174 dort. Überhaupt wurde die päpstliche Spanienpolitik in der zweiten Jahrhunderthälfte anscheinend maßgeblich von ihm bestimmt. Der Referent ging unter anderem auch auf die Mitarbeiter Hyazinths während seiner Legationen ein.

SANTIAGO DOMÍNGUEZ SÁNCHEZ (León) widmete sich demgegenüber der Tätigkeit von Legaten und Delegaten anhand eines Fallbeispiels, des Streites der Bistümer León und Lugo um den Archidiakonat von Triacastela. Der Archidiakonat wurde der Kirche von León offenbar zu Beginn des 10. Jahrhunderts von König Ordoño II. geschenkt. Damit war der Streit mit dem Bischof von Lugo, der die Jurisdiktion über den Archidiakonat beanspruchte, gleichsam programmiert. Der Fall beschäftigte die Päpste, ihre Legaten und Delegaten seit Urban II. bis zu Innozenz IV., wurde insbesondere seitens der Kirche von Lugo durch Verzögerungstaktiken und verschiedene verfahrenstechnische Kniffe in die Länge gezogen und erst im 14. Jahrhundert via facti gelöst: Lugo konnte den Archidiakonat an sich bringen, weil León den langwierigen und teuren Rechtsstreit, noch dazu um einen so weit entfernten Besitz, nicht mehr fortführen wollte.

Die letzte Sektion behandelte anhand von Beispielen aus drei Regionen die päpstliche delegierte Gerichtsbarkeit. Zunächst analysierte MARIA JOÃO BRANCO (Lissabon) die Kriterien für die Ernennung päpstlicher delegierter Richter in portugiesischen Angelegenheiten von 1150 bis 1227. Das Untersuchungsziel war, die „verborgene Logik“ herauszuarbeiten, die zur Verwendung bestimmter Kleriker als Delegaten führte, lassen die Quellen doch erkennen, dass immer wieder die gleichen Männer ernannt wurden, sei es in denselben Streitsachen, sei es bei jeweils ähnlichen Streitgegenständen. Die einschlägige Quellenüberlieferung für Portugal setzt in nennenswertem Maße erst Anfang der 1180er-Jahre ein. Dann lässt sich allerdings ein geradezu exponentielles Wachstum beobachten. Auch deshalb belegte Branco ihre Thesen im Rahmen des Vortrags exemplarisch.

DANIEL BERGER (Göttingen) konnte mit seinem Referat über Anlässe, Verfahren und Wirksamkeit der delegierten Gerichtsbarkeit im exemten Bistum Burgos während des 12. und frühen 13. Jahrhunderts (bis zum Tod Honorius’ III. 1227) erstmals eine umfassende Quelleninterpretation auf der Grundlage des von ihm erarbeiteten Iberia-Pontificia-Bandes zu dieser Diözese präsentieren. Die Anfänge des Delegationswesens liegen im Falle von Burgos im frühen 12. Jahrhundert, doch wuchs die Zahl der Fälle erst seit Eugen III. und namentlich seit Alexander III. deutlich an und erreichte ihre Spitze im Pontifikat Honorius’ III. Die Streitfälle hatten vornehmlich Bistumsgrenzen zum Gegenstand, insbesondere die zu den Diözesen Oviedo und Osma. Innerhalb des Bistums Burgos kam es zum Rechtsstreit vor päpstlichen Delegaten vor allem wegen der bischöflichen Jurisdiktion über Liegenschaften und Pfarreien im Besitz der großen Benediktinerabteien, insbesondere San Salvador de Oña. Anscheinend nutzten die Bischöfe das Mittel der delegierten Gerichtsbarkeit, um ihre Rechte in der weitläufigen Diözese Burgos zu festigen bzw. klarzustellen. Die Urteile der Delegaten waren allerdings, das zeigt sich auch an Fällen aus dem Bistum Burgos, schwer durchzusetzen. Erst zu Beginn des 13. Jahrhunderts erreichten die päpstlichen Delegationen ihre volle Wirksamkeit.

Auch der Vortrag von FRANK ENGEL (Göttingen) über „Die Diözese Ávila und die päpstliche Delegationsgerichtsbarkeit im 12. Jahrhundert“ fußte auf der Arbeit am entsprechenden Band der Iberia Pontificia. Quellenzeugnisse zum Delegatenwesen setzen für dieses Bistum im Pontifikat Alexanders III. ein. Bis zu Coelestin III. einschließlich lassen sich insgesamt 33 oder 34 Streitsachen ermitteln, bei denen entweder eine Abulenser Streitpartei erscheint oder ein Abulenser vom Papst delegiert wird. Im einen wie im anderen Fall handelt es sich um Sachen sehr unterschiedlicher Tragweite bzw. unterschiedlichen Streitwerts, ebenso wie auch die erteilten Mandate variierten (bloße Untersuchung bzw. Zeugenverhör oder aber Entscheidung der Sache oder auch Anwendung von Kirchenstrafen gegen Streitparteien). Der Beitrag analysierte weiterhin die Zusammensetzung der Richterkommissionen nach Diözesanzugehörigkeit und hierarchischem Rang. Im Bistum Ávila fehlten in der Untersuchungszeit große Klöster oder Stifte; wohl deshalb ist außer dem Bischof von Ávila, an den bei weitem die meisten Aufträge ergingen, nur der dortige Archidiakon als Delegat bezeugt.

Den Schlussvortrag hielt AGOSTINO PARAVICINI BAGLIANI (Lausanne). Er bündelte die Referate und Diskussionen der Tagung, indem er der Frage nachging, ob das Papsttum seiner plenitudo potestatis in der Zeit von 1050 bis 1300 Grenzen gesetzt habe. Der Terminus plenitudo potestatis kam unter Innozenz III. in der päpstlichen Kanzleisprache auf. Dennoch war es ebendieser Papst, der auf seine physische Begrenztheit verwies: Er könne nicht überall sein und müsse daher Legaten entsenden. Besondere Aufmerksamkeit widmete der Referent liturgisch-rituellen Sachverhalten und den theologisch-kanonistischen Reflexionen des Hoch- und Spätmittelalters über die Grenzen der päpstlichen Herrschaft. So vertrat Wilhelm Durand die Auffassung, der Papst müsse bei der Kommunion ein Stück der Hostie im Ziborium belassen; dieses stehe für die Auferstandenen, über die er keine Gewalt habe.

„Das begrenzte Papsttum“ – unter diesem Titel hat die Konferenz Wissenschaftler aus etlichen Ländern zusammengeführt. Erleichtert durch die sorgfältige und stets zuvorkommende Tagungsorganisation seitens der Universidade Católica, wurde die wissenschaftliche Diskussion in aller Vielsprachigkeit lebhaft und durchgängig auf hohem Niveau geführt. Erfreulich zu sehen war auch, dass die gemeinsame Arbeit an der Iberia Pontificia in Portugal, Spanien und Deutschland bereits zu diesem Zeitpunkt reiche Forschungsergebnisse hervorgebracht hat.

Konferenzübersicht:

Begrüßung

Klaus Herbers (Erlangen), Fernando López Alsina (Santiago de Compostela): Einführung

Sektion I: Allgemeine Grundlagen

Rudolf Schieffer (München): Die Reichweite päpstlicher Entscheidungen nach der papstgeschichtlichen Wende

Thomas Deswarte (Poitiers): Liturgies romaine et hispanique dans le Liber Ordinum RAH 56

Werner Maleczek (Wien): Das Kardinalat von der Mitte des 12. bis zur Mitte des 13. Jahrhunderts (mit besonderer Blickrichtung auf die Iberische Halbinsel)

Sektion II: Grenzen

Fernando López Alsina (Santiago de Compostela): El Parrochiale Suevum y su presencia en las cartas pontificias

Maria Cristina Cunha (Porto): Coimbra e Porto: episcopados e formação da identidade nacional no contexto das querelas sobre limites diocesanos

Ursula Vones-liebenstein (Köln): Narbona metropolis: Grenzen zwischen kirchlichen Interessen und weltlicher Herrschaftsbildung

José Luis Martín Martín (Salamanca): Problemas de límites en las diócesis vecinas de Castilla y Portugal en la Edad Media

Sektion III: Legaten

Gerhard Sailler (Moskau): Papsturkunden in Portugal von 1198 bis 1304. Ein Beitrag zum Censimento

Claudia Zey (Zürich): Legaten im 12. und 13. Jahrhundert. Möglichkeiten und Beschränkungen

Ludwig Vones (Köln): Legation und Konzilien. Der Legat Richard von Marseille und die konziliare Tätigkeit auf der Iberischen Halbinsel

Santiago Domínguez Sánchez (León): El papel de los legados y de los jueces pontificios en la lucha de los obispados de León y Lugo por Triacastela

Ingo Fleisch (Bamberg): Die Legationen Kardinal Hyazinths auf der Iberischen Halbinsel

Sektion IV: Delegierte Richter

Maria João Branco (Lissabon): Criteria for the nomination of papal judges-delegate in Portuguese affairs (1150-1227)

Daniel Berger (Göttingen): Delegierte Gerichtsbarkeit im Bistum Burgos im 12. und frühen 13. Jahrhundert. Anlässe – Verfahren – Wirksamkeit

Frank Engel (Göttingen): Die Diözese Ávila und die päpstliche Delegationsgerichtsbarkeit im 12. Jahrhundert

Schlussvortrag

Agostino Paravicini Bagliani (Lausanne): Hat das Papsttum seiner plenitudo potestatis Grenzen gesetzt (1050-1300)?


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